Leichtsinnige Fehler - Kenterung - Lebensgefahr
Verfasst: 8. Dez 2016, 12:27
Mit ein paar Tagen Abstand zu meiner Kenterung am Montag bringe ich hier mal eine Nachbetrachtung zu Papier und klage mich damit selber an und hoffe den ein oder anderen anzuregen auch nicht einen Millimeter von den gebotenen sicherheitsrelevanten Regeln bei unserem Hobby abzuweichen.
Auf gar keinen Fall soll die Botschaft heißen; Kajakangeln ist brandgefährlich, sondern vielmehr; werdet nicht müde alles für eure Sicherheit zu tun sonst kann das Ganze enden wie im unten folgenden Kenterbericht.
Vorweg sei gesagt, das ich so ziemlich alles über die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen hier im Forum aufgesaugt und auch umgesetzt habe. Nach über 60 Kajaktagen auf der Ostsee in den letzten 2 Jahren hat bei mir aber der trügerische Leichtsinn Einzug gehalten und das hätte ich am Montag um Haaresbreite mit dem Leben bezahlt !!!!!
Nun im Detail der Kenterbericht:
Wetter am Montag den 05.12.2016: sonnig mit leichtem WSW-Wind Stärke 2-3. Für meine Einsatzstelle in Brook / MV bedeutete dies sideshore bis leicht ablandig. Lufttemperatur 0° C und Wasser 6-7° C, Wellenhöhe keine 10 cm. Mein Kajak: Hobie Outback 2015. Meine Kleidung : Palm Ion Bip Trockenhose + Palm Mistral Jacke + Rettungsweste RTM Angler mit 50 N + Leash 1m lang, dehnbar auf ca. 1,40 m + Unterbekleidung Bauwolle und Fleece gemischt im Zwiebelprinzip
Körpermaße: 96 kg verteilt auf 184 cm
Hatte mir den Montag wegen des ruhigen Wetters extra Dienstfrei genommen und war, wie so oft, alleine unterwegs.
Bei eben diesen absolut ruhigen Bedingungen war ich um 08:30 auf dem Wasser und gegen 11:00 Uhr drückte bei mir die Blase. Bisher hatte ich das kleine Geschäft gefahrlos im Sitzen durch den Pinkelreißverschluß in einen Becher erledigt. Immer mit dem kleinen Makel das ein paar Tropfen in der Unterbekleidung gelandet sind. Im Sommer habe ich festgestellt, das es durchaus möglich ist im Outback eine kniende Position einzunehmen und einfach durch die Antriebsöffnung laufen zu lassen. Dazu ist ein bisschen geturne erforderlich und man muss im Übergang vom Sitzen zum Knien erst eine hockende Position einnehmen wobei natürlich der Schwerpunkt deutlich nach oben verlagert wird und man somit ins Risiko geht. Wohlgemerkt alles nur um ein paar Tropfen in der Unterkleidung zu vemeiden (wie doof kann man eigentlich sein) !!!
Genau diese Prozedur wurde mir diesmal zum Verhängnis. Schwerpunkt zu hoch und zu weit rechts und schon lag ich im Wasser und das Kajak kieloben neben mir. Das alles in einer Geschwindigkeit die eine Gegenreaktion gar nicht zugelassen hat. Die Sicherheitsleine habe ich immer links im Haltegriff angeschlagen, diese Seite war ja mit zu mir rüber gekippt und so hatte ich die 1,4 Meter Länge der Sicherheitsleine Bewegungsfreiheit. Ich glaube meine ersten Gedanken waren: „ Du Idiot selber schuld“. So jetzt Ruhe bewahren und wieder rein ins Kajak waren meine Überlegungen, dabei bemerkte ich ein kaltes und nasses Gefühl an den Schultern. Nächster unverzeihlicher Fehler: Ich trug unter anderem einen Pullover mit sehr hohem Kragen am Hals. Der Kragen war deutlich höher als der Neoprenkragen meiner Trockenjacke und so hatte ich den Kragen der Jacke über dem Pullover nur mit leichtem Zug mittels Klettverschluss geschlossen. So konnte von oben Wasser eindringen und das Material des Pullovers saugte das Wasser wie ein Schwamm und transportierte es weiter nach unten.
Kajak umdrehen erster Versuch, von unten gegriffen, hoch gedrückt, nicht ganz den Drehpunkt erreicht fiel das Hobie wieder in die kieloben-Position zurück. Zweiter Versuch mit etwas mehr Schwung glückte dann. So jetzt wieder rauf, Hände mittig zum hoch stemmen platziert und mich mit allem was ich habe hoch gedrückt . Mit dem Ergebnis das sich das Kajak fast widerstandslos wieder in die kieloben Postion drehte. Mist, was war das denn.
Der größte Fehler überhaupt : meine Einstiegsübung habe ich im Jahr 2015 mit meinem damaligen Islander Strike Angler gemacht. Einem extrem kippstabilen Zweikieler, da konnte ich mich relativ mühelos, fast wie am Beckenrand in der Schwimmhalle hoch drücken.
Mit dem Hobie habe ich diese Übung nicht wiederholt, hätte ich das mal getan dann wäre so einiges anders gelaufen oder wäre gar nicht passiert. Für mich war also als Wiedereinstiegstechnik das einfache hoch stemmen abgespeichert. Klar hatte ich Videos gesehen wie man sich aus einer Schwimmposition heraus mit kräftigem Beinschlag seitlich auf das Kajak schiebt. Aber glaubt mir, wenn man in so einer Not- und Stresssituation ist kommt man da nicht drauf, sondern wiederholt immer wieder die untaugliche Technik die nach meiner Erinnerung ja eigentlich funktionieren müsste.
Mittlerweile suchte sich immer mehr Wasser von oben den Weg in meinen Anzug, meine Finger waren deutlich runtergekühlt und mein Selbstverständnis einfach aufs Kajak zurückzukehren wich doch erheblichen Zweifeln. Der nächste nun schon hektische Versuch das Kajak umzudrehen mißglückte völlig, das Kajak kippte zurück, fiel mir auf den Kopf und ich befand mich unter dem Boot. Mit kurzer Tauchbewegung wieder unten raus und noch mehr Wasser über den Hals eingefangen. Erste Verzweiflungstat, ich versuchte auf das kieloben treibende Boot zu klettern. Natürlich ohne Aussicht auf Erfolg sich an den Rundungen festzuhalten. Der nächste Versuch das Kajak zu drehen glückte dann wieder irgendwie und ich strampelte erschöpft, deutlich unterkühlt und mit aufkommender Panik neben Kajak. Erste düstere Gedanken machten sich breit, Du mußt da wieder rauf sonst endet der Weg hier und heute.
Nächster Versuch mich auf das Kajak zu stemmen und wieder drückte ich dabei nur die gegenüberliegende Seite hoch und und hatte nicht den Hauch einer Chance genug Gegendruck zu erfahren um wieder rauf zu kommen. Das ist gar nicht möglich mit meinem Gewicht seitlich wieder einzusteigen schoss es mir durch den Kopf. Resignation, Kraftlosigkeit, Kälte und ganz düstere Gedanken umkreisten mich. Der Körper war jetzt nur noch bedingt einsatzfähig, die Kälte und das vom Körper gesteuerte Zittern stand über allem. Mit den Fingern konnte ich kaum noch greifen was die Aussicht auf ein wieder Einsteigen auf ein Minimum sinken ließen. Die Nässe und Kälte war mittlerweile innen im Anzug überall zu spüren und „meine Zeit läuft ab“ war glaube ich einer meiner Gedanken. Mein Blick fiel auf die Tackle-Kiste und die Kühlbox die sich noch schräg hängend in den Gummiseilen im Heck befanden. Ich löste die Gummis auf der einen Seite, auf die andere Seite konnte ich nicht, dafür war jetzt die Sicherheitsleine beim Weg um das Heck irgendwie zu kurz. Mit Geziehe ging es dann aber doch. Alles über Bord geworfen und dann wieder Richtung Heck. Der wohl letzte Versuch der mir in meinem entkräfteten Zustand noch blieb war übers Heck. Das war aber weniger die Ausführung eines klaren Gedankens als viel mehr die letzte intuitive Handlung die noch blieb, bevor die Körperkräfte völlig versagten.
Ein Aussrichten des Körpers in Verlängerung zum Kajak war nicht möglich weil die Länge der Sicherheitsleine nun endgültig nicht ausreichend war. Also wieder seitlich ans Kajak; Karabiner am Griff gelöst und von hinten in die Rückenlehne des Sitzes gehakt. Wieder zum Heck, Körper ausgerichtet und der Versuch mit den Eisfingern irgendwie Halt zu erlangen. Mit allerletzter Kraft schaffte ich es das Heck des Kajaks etwas nach unten zu drücken und meinen Oberkörper bis zum Brustbein raufzuziehen und mit den Beinen im Wasser zu strampeln damit ich nicht wieder runter rutschte. Kurz inne halten alle Restkräfte sammeln und ein weiterer Schwung brachte mich mit dem Bauchnabel bis auf das Ruderblatt. In dieser Position bin ich erst einmal verharrt. Aus Angst diese für mich beste Position der geschätzten letzten 15 Minuten zu riskieren und weil nun so gut wie keine Kraftreserven mehr vorhanden waren versuchte ich mich nicht zu bewegen.
In diesem Moment hörte ich ein Motorgeräusch, immer lauter werdend konnte ich im Augenwinkel ein kleines Schlauchboot mit Außenbordmotor sehen das vielleicht in 100 m Entfernung vorbeifuhr. Panisch habe ich um Hilfe geschrien und dachte warum sieht der nicht das orange Kajak auf dem niemand sitzt. Das er mich neben dem lauten Motor sitzend nicht hört habe ich natürlich nicht realisiert, aber trotzdem habe ich, so meine nachträgliche Erinnerung wie am Spieß geschrien (eine Trillerpfeife hätte ich auch gehabt, aber die lag unter dem Bauch begraben in einer Brusttasche der Rettungsweste). Irgendwelche Armbewegungen um auf mich aufmerksam zu machen waren in meiner instabilen Lage völlig undenkbar und so fuhr das Schlauchboot vorbei und Stille trat wieder ein.
Ich denke zwei drei Minuten hatte ich diese Position inne dann begann ich mich mit so etwas wie Schwimmbewegungen zentimeterweise nach vorne zu arbeiten. Den rasenden Puls das hochfrequente Zittern und eine sekündliche Atemfrequenz überlagerten jetzt alles und alle Bewegungen die ich vollzog, erfolgten nicht geplant sondern eher reflexartig (man will einfach überleben; ist meine Erklärung in der Nachbetrachtung).
Als ich mit dem Kopf die runter geklappte Rückenlehne des Sitzes erreicht hatte ging es nicht mehr weiter. Die Rettungsweste hatte sich mit den Spanngummis verhakt und um über den Sitz weiter nach vorne zu gelangen musste ich den Oberkörper gezwungener Maßen anheben und die eingehakte Sicherheitsleine wieder lösen um Sie am Haltegriff neu einzuhängen. Auch dieser Akt gelang irgendwie und ich hatte es dann mit dem Kopf bis zum Antrieb geschafft. Wie ich es dann in den Sitz gekommen bin ?, daran fehlt mir die Erinnerung. Wie in einem automatisch ablaufenden Film habe ich in die Pedale getreten und stellte fest, das das Kajak noch steuerbar ist. Noch unglaublicher war ,das das Echolot noch funktionierte und auf der Kartendarstellung tatsächlich die markierte Einsatzstelle zu sehen war. Die Entfernung zum Ufer dürfte so ca. 600-800 Meter betragen haben und nach einigen wie automatisiert abgelaufenen Minuten erreichte ich tatsächlich das Ufer an der Einsatzstelle und habe das Kajak nach ziehen des Antriebes sogar noch 2 oder 3 m an Land gezogen.
Die erste Handlung war das Handy aus der wasserdichten Brusttasche der Paddeljacke zu ziehen. Mit zwei gefrorenen Fingern gleichzeitig drückte ich vergeblich die ON-Taste des tropfenden Smartphones. Ich denke die Brusttasche hat Wasser von innen bekommen und das Handy war Schrott.
Kein Mensch weit und breit also die ca. 200 m zum Parkplatz angetreten. Gekrümmte Körperhaltung, der Anzug bzw. die Unterkleidung schwer wie Hölle und auch einige Liter Wasser in den Füßlingen.
Die Atmung war mittlerweile keuchend im Sekundentakt und das Zittern und Herzrasen schier unerträglich. Auf halber Strecke zum Parkplatz bemerkte ich das unter dem einen Arm der Antrieb und unter dem anderen die beiden verbliebenen Angeln klemmten, fragt mich nicht wie die dahin gekommen sind.
Genau in dem Moment in dem ich den Parkplatz erreichte kam ein Auto und ich signalisierte Hilfe. Ein älteres Ehepaar hat dann sofort per Handy den Notruf gewählt. Meinen Autoschlüssel hatte ich um meinen Hals gehängt, Elektronik natürlich auch kaputt aber irgendwie bekam ich oder die Frau ? das Fahrzeug geöffnet. Ich denke die Dame aus dem Auto war mit der Situation mit einem krampfenden zitternden Mann auch überfordert, hat aber intuitiv das richtige getan. Sie hat mir die Kleidung vom Leib gezogen und nach einigen Minuten hatte ich die Reserve-Jogginghose und Trainingsjacke aus dem Auto an. Ich saß dann auf meinem Beifahrersitz und wurde mit der Rettungsdecke aus ihrem Fahrzeug umhüllt. Auf die Idee bei 0° C Außentemperatur den Motor laufen zu lassen sind wir nicht gekommen. Mein Zustand besserte sich überhaupt nicht und für die Dame muss die Wartezeit auf den Rettungswagen eine Qual gewesen sein. Nach einer gewissen Zeit wurde ein zweites mal per Notruf nach dem Rettungswagen gefragt und ich bekam mit das es wohl insgesamt 45 Minuten bis zum Eintreffen gedauert hat . Dann ging alles ganz schnell, Infusion, Beruhigungsspritze und Überprüfung der Körpertemperatur, Ergebnis 33°C !!! Zusätzlich bekam ich eine Art Warmluftgebläse unter einer Decke. Nach meinem Gefühl alles höchst professionell und die Zuversicht auf ein glückliches Ende machte sich in mir breit. Obwohl ich in Mecklenburg-Vorpommern gekentert bin befand ich mich in einem Rettungswagen der mich in die Uniklinik nach Lübeck gefahren hat. In der Notaufnahme habe ich dann 4 Stunden verkabelt unter Monitorüberwachung verbracht und es erfolgten diverse Blutuntersuchungen. Meine Körpertemperatur lag wieder bei über 36°C und die Blutwerte waren zufriedenstellend. In Begleitung meiner Frau und meiner Tochter durfte ich die Klinik wieder verlassen.
Es wurden viele Tränen im Krankenhaus vergossen und es war klar das der 5. Dezember ab sofort mein zweiter Geburtstag ist. Wobei mir ein Geburtstag völlig reicht.
Den Rücktransport meines Autos haben meine Kinder organisiert und das Kajak wurde von der Wasserschutzpolizei Wismar sichergestellt und in die dortige Asservatenkammer verbracht. Dort liegt es heute noch.
Die komplette nasse Kleidung habe ich am Folgetag in einer großen IKEA-Tasche aus dem Fahrzeug geholt. Die Griffe der Tasche waren kurz vorm reißen und ich schätze das Gewicht auf deutlich über 10 kg.
Dieser Kenterbericht mag in Teilen sehr dramatisch sein, aber ich musste mir die Geschehnisse von der Seele schreiben. Meine lebensbedrohliche Grenzerfahrung soll von euch niemanden abschrecken, sondern vielmehr sensibilisieren. Unser Hobby ist mit allen gebotenen Sicherheitsvorkehrungen problemlos durchführbar. Alle Fehler die mir passiert sind habe ich selbst zu verantworten und vielleicht hat da jemand auch noch Verbesserungspotential für sich erkannt. Dann ist viel erreicht.
Hier nochmal alle haarsträubenden Fehler im Überblick:
- sitzende Position im Kajak verlassen
- Trockenjacke am Hals nicht abgedichtet
- ohne Begleitung auf der Ostsee unterwegs
- keine Einstiegsübung auf dem aktuellen Kajak
- kein wasserdichtes Tasten-Handy für die Abgabe eines Notrufes
Körperlich geht es mir wieder gut, aber im Kopf läuft das Geschehene immer wieder ab und wird mich wohl noch viele schlaflose Nächte kosten.
Die materiellen Verluste bei der Kenterung sind es nicht wert hier thematisiert zu werden, ich bin einfach nur froh diese Nachbetrachtung schreiben zu können. Die Frage ob und wie es weitergeht lasse ich erst einmal offen, wichtiger ist für mich die Verarbeitung der Geschehnisse und dieser Kenterbericht soll der erste Schritt dazu sein.
Bitte im Netz nachlesen:
Stadien, Symptome und Sofortmaßnahmen bei Hypothermie (Unterkühlung)
Auf gar keinen Fall soll die Botschaft heißen; Kajakangeln ist brandgefährlich, sondern vielmehr; werdet nicht müde alles für eure Sicherheit zu tun sonst kann das Ganze enden wie im unten folgenden Kenterbericht.
Vorweg sei gesagt, das ich so ziemlich alles über die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen hier im Forum aufgesaugt und auch umgesetzt habe. Nach über 60 Kajaktagen auf der Ostsee in den letzten 2 Jahren hat bei mir aber der trügerische Leichtsinn Einzug gehalten und das hätte ich am Montag um Haaresbreite mit dem Leben bezahlt !!!!!
Nun im Detail der Kenterbericht:
Wetter am Montag den 05.12.2016: sonnig mit leichtem WSW-Wind Stärke 2-3. Für meine Einsatzstelle in Brook / MV bedeutete dies sideshore bis leicht ablandig. Lufttemperatur 0° C und Wasser 6-7° C, Wellenhöhe keine 10 cm. Mein Kajak: Hobie Outback 2015. Meine Kleidung : Palm Ion Bip Trockenhose + Palm Mistral Jacke + Rettungsweste RTM Angler mit 50 N + Leash 1m lang, dehnbar auf ca. 1,40 m + Unterbekleidung Bauwolle und Fleece gemischt im Zwiebelprinzip
Körpermaße: 96 kg verteilt auf 184 cm
Hatte mir den Montag wegen des ruhigen Wetters extra Dienstfrei genommen und war, wie so oft, alleine unterwegs.
Bei eben diesen absolut ruhigen Bedingungen war ich um 08:30 auf dem Wasser und gegen 11:00 Uhr drückte bei mir die Blase. Bisher hatte ich das kleine Geschäft gefahrlos im Sitzen durch den Pinkelreißverschluß in einen Becher erledigt. Immer mit dem kleinen Makel das ein paar Tropfen in der Unterbekleidung gelandet sind. Im Sommer habe ich festgestellt, das es durchaus möglich ist im Outback eine kniende Position einzunehmen und einfach durch die Antriebsöffnung laufen zu lassen. Dazu ist ein bisschen geturne erforderlich und man muss im Übergang vom Sitzen zum Knien erst eine hockende Position einnehmen wobei natürlich der Schwerpunkt deutlich nach oben verlagert wird und man somit ins Risiko geht. Wohlgemerkt alles nur um ein paar Tropfen in der Unterkleidung zu vemeiden (wie doof kann man eigentlich sein) !!!
Genau diese Prozedur wurde mir diesmal zum Verhängnis. Schwerpunkt zu hoch und zu weit rechts und schon lag ich im Wasser und das Kajak kieloben neben mir. Das alles in einer Geschwindigkeit die eine Gegenreaktion gar nicht zugelassen hat. Die Sicherheitsleine habe ich immer links im Haltegriff angeschlagen, diese Seite war ja mit zu mir rüber gekippt und so hatte ich die 1,4 Meter Länge der Sicherheitsleine Bewegungsfreiheit. Ich glaube meine ersten Gedanken waren: „ Du Idiot selber schuld“. So jetzt Ruhe bewahren und wieder rein ins Kajak waren meine Überlegungen, dabei bemerkte ich ein kaltes und nasses Gefühl an den Schultern. Nächster unverzeihlicher Fehler: Ich trug unter anderem einen Pullover mit sehr hohem Kragen am Hals. Der Kragen war deutlich höher als der Neoprenkragen meiner Trockenjacke und so hatte ich den Kragen der Jacke über dem Pullover nur mit leichtem Zug mittels Klettverschluss geschlossen. So konnte von oben Wasser eindringen und das Material des Pullovers saugte das Wasser wie ein Schwamm und transportierte es weiter nach unten.
Kajak umdrehen erster Versuch, von unten gegriffen, hoch gedrückt, nicht ganz den Drehpunkt erreicht fiel das Hobie wieder in die kieloben-Position zurück. Zweiter Versuch mit etwas mehr Schwung glückte dann. So jetzt wieder rauf, Hände mittig zum hoch stemmen platziert und mich mit allem was ich habe hoch gedrückt . Mit dem Ergebnis das sich das Kajak fast widerstandslos wieder in die kieloben Postion drehte. Mist, was war das denn.
Der größte Fehler überhaupt : meine Einstiegsübung habe ich im Jahr 2015 mit meinem damaligen Islander Strike Angler gemacht. Einem extrem kippstabilen Zweikieler, da konnte ich mich relativ mühelos, fast wie am Beckenrand in der Schwimmhalle hoch drücken.
Mit dem Hobie habe ich diese Übung nicht wiederholt, hätte ich das mal getan dann wäre so einiges anders gelaufen oder wäre gar nicht passiert. Für mich war also als Wiedereinstiegstechnik das einfache hoch stemmen abgespeichert. Klar hatte ich Videos gesehen wie man sich aus einer Schwimmposition heraus mit kräftigem Beinschlag seitlich auf das Kajak schiebt. Aber glaubt mir, wenn man in so einer Not- und Stresssituation ist kommt man da nicht drauf, sondern wiederholt immer wieder die untaugliche Technik die nach meiner Erinnerung ja eigentlich funktionieren müsste.
Mittlerweile suchte sich immer mehr Wasser von oben den Weg in meinen Anzug, meine Finger waren deutlich runtergekühlt und mein Selbstverständnis einfach aufs Kajak zurückzukehren wich doch erheblichen Zweifeln. Der nächste nun schon hektische Versuch das Kajak umzudrehen mißglückte völlig, das Kajak kippte zurück, fiel mir auf den Kopf und ich befand mich unter dem Boot. Mit kurzer Tauchbewegung wieder unten raus und noch mehr Wasser über den Hals eingefangen. Erste Verzweiflungstat, ich versuchte auf das kieloben treibende Boot zu klettern. Natürlich ohne Aussicht auf Erfolg sich an den Rundungen festzuhalten. Der nächste Versuch das Kajak zu drehen glückte dann wieder irgendwie und ich strampelte erschöpft, deutlich unterkühlt und mit aufkommender Panik neben Kajak. Erste düstere Gedanken machten sich breit, Du mußt da wieder rauf sonst endet der Weg hier und heute.
Nächster Versuch mich auf das Kajak zu stemmen und wieder drückte ich dabei nur die gegenüberliegende Seite hoch und und hatte nicht den Hauch einer Chance genug Gegendruck zu erfahren um wieder rauf zu kommen. Das ist gar nicht möglich mit meinem Gewicht seitlich wieder einzusteigen schoss es mir durch den Kopf. Resignation, Kraftlosigkeit, Kälte und ganz düstere Gedanken umkreisten mich. Der Körper war jetzt nur noch bedingt einsatzfähig, die Kälte und das vom Körper gesteuerte Zittern stand über allem. Mit den Fingern konnte ich kaum noch greifen was die Aussicht auf ein wieder Einsteigen auf ein Minimum sinken ließen. Die Nässe und Kälte war mittlerweile innen im Anzug überall zu spüren und „meine Zeit läuft ab“ war glaube ich einer meiner Gedanken. Mein Blick fiel auf die Tackle-Kiste und die Kühlbox die sich noch schräg hängend in den Gummiseilen im Heck befanden. Ich löste die Gummis auf der einen Seite, auf die andere Seite konnte ich nicht, dafür war jetzt die Sicherheitsleine beim Weg um das Heck irgendwie zu kurz. Mit Geziehe ging es dann aber doch. Alles über Bord geworfen und dann wieder Richtung Heck. Der wohl letzte Versuch der mir in meinem entkräfteten Zustand noch blieb war übers Heck. Das war aber weniger die Ausführung eines klaren Gedankens als viel mehr die letzte intuitive Handlung die noch blieb, bevor die Körperkräfte völlig versagten.
Ein Aussrichten des Körpers in Verlängerung zum Kajak war nicht möglich weil die Länge der Sicherheitsleine nun endgültig nicht ausreichend war. Also wieder seitlich ans Kajak; Karabiner am Griff gelöst und von hinten in die Rückenlehne des Sitzes gehakt. Wieder zum Heck, Körper ausgerichtet und der Versuch mit den Eisfingern irgendwie Halt zu erlangen. Mit allerletzter Kraft schaffte ich es das Heck des Kajaks etwas nach unten zu drücken und meinen Oberkörper bis zum Brustbein raufzuziehen und mit den Beinen im Wasser zu strampeln damit ich nicht wieder runter rutschte. Kurz inne halten alle Restkräfte sammeln und ein weiterer Schwung brachte mich mit dem Bauchnabel bis auf das Ruderblatt. In dieser Position bin ich erst einmal verharrt. Aus Angst diese für mich beste Position der geschätzten letzten 15 Minuten zu riskieren und weil nun so gut wie keine Kraftreserven mehr vorhanden waren versuchte ich mich nicht zu bewegen.
In diesem Moment hörte ich ein Motorgeräusch, immer lauter werdend konnte ich im Augenwinkel ein kleines Schlauchboot mit Außenbordmotor sehen das vielleicht in 100 m Entfernung vorbeifuhr. Panisch habe ich um Hilfe geschrien und dachte warum sieht der nicht das orange Kajak auf dem niemand sitzt. Das er mich neben dem lauten Motor sitzend nicht hört habe ich natürlich nicht realisiert, aber trotzdem habe ich, so meine nachträgliche Erinnerung wie am Spieß geschrien (eine Trillerpfeife hätte ich auch gehabt, aber die lag unter dem Bauch begraben in einer Brusttasche der Rettungsweste). Irgendwelche Armbewegungen um auf mich aufmerksam zu machen waren in meiner instabilen Lage völlig undenkbar und so fuhr das Schlauchboot vorbei und Stille trat wieder ein.
Ich denke zwei drei Minuten hatte ich diese Position inne dann begann ich mich mit so etwas wie Schwimmbewegungen zentimeterweise nach vorne zu arbeiten. Den rasenden Puls das hochfrequente Zittern und eine sekündliche Atemfrequenz überlagerten jetzt alles und alle Bewegungen die ich vollzog, erfolgten nicht geplant sondern eher reflexartig (man will einfach überleben; ist meine Erklärung in der Nachbetrachtung).
Als ich mit dem Kopf die runter geklappte Rückenlehne des Sitzes erreicht hatte ging es nicht mehr weiter. Die Rettungsweste hatte sich mit den Spanngummis verhakt und um über den Sitz weiter nach vorne zu gelangen musste ich den Oberkörper gezwungener Maßen anheben und die eingehakte Sicherheitsleine wieder lösen um Sie am Haltegriff neu einzuhängen. Auch dieser Akt gelang irgendwie und ich hatte es dann mit dem Kopf bis zum Antrieb geschafft. Wie ich es dann in den Sitz gekommen bin ?, daran fehlt mir die Erinnerung. Wie in einem automatisch ablaufenden Film habe ich in die Pedale getreten und stellte fest, das das Kajak noch steuerbar ist. Noch unglaublicher war ,das das Echolot noch funktionierte und auf der Kartendarstellung tatsächlich die markierte Einsatzstelle zu sehen war. Die Entfernung zum Ufer dürfte so ca. 600-800 Meter betragen haben und nach einigen wie automatisiert abgelaufenen Minuten erreichte ich tatsächlich das Ufer an der Einsatzstelle und habe das Kajak nach ziehen des Antriebes sogar noch 2 oder 3 m an Land gezogen.
Die erste Handlung war das Handy aus der wasserdichten Brusttasche der Paddeljacke zu ziehen. Mit zwei gefrorenen Fingern gleichzeitig drückte ich vergeblich die ON-Taste des tropfenden Smartphones. Ich denke die Brusttasche hat Wasser von innen bekommen und das Handy war Schrott.
Kein Mensch weit und breit also die ca. 200 m zum Parkplatz angetreten. Gekrümmte Körperhaltung, der Anzug bzw. die Unterkleidung schwer wie Hölle und auch einige Liter Wasser in den Füßlingen.
Die Atmung war mittlerweile keuchend im Sekundentakt und das Zittern und Herzrasen schier unerträglich. Auf halber Strecke zum Parkplatz bemerkte ich das unter dem einen Arm der Antrieb und unter dem anderen die beiden verbliebenen Angeln klemmten, fragt mich nicht wie die dahin gekommen sind.
Genau in dem Moment in dem ich den Parkplatz erreichte kam ein Auto und ich signalisierte Hilfe. Ein älteres Ehepaar hat dann sofort per Handy den Notruf gewählt. Meinen Autoschlüssel hatte ich um meinen Hals gehängt, Elektronik natürlich auch kaputt aber irgendwie bekam ich oder die Frau ? das Fahrzeug geöffnet. Ich denke die Dame aus dem Auto war mit der Situation mit einem krampfenden zitternden Mann auch überfordert, hat aber intuitiv das richtige getan. Sie hat mir die Kleidung vom Leib gezogen und nach einigen Minuten hatte ich die Reserve-Jogginghose und Trainingsjacke aus dem Auto an. Ich saß dann auf meinem Beifahrersitz und wurde mit der Rettungsdecke aus ihrem Fahrzeug umhüllt. Auf die Idee bei 0° C Außentemperatur den Motor laufen zu lassen sind wir nicht gekommen. Mein Zustand besserte sich überhaupt nicht und für die Dame muss die Wartezeit auf den Rettungswagen eine Qual gewesen sein. Nach einer gewissen Zeit wurde ein zweites mal per Notruf nach dem Rettungswagen gefragt und ich bekam mit das es wohl insgesamt 45 Minuten bis zum Eintreffen gedauert hat . Dann ging alles ganz schnell, Infusion, Beruhigungsspritze und Überprüfung der Körpertemperatur, Ergebnis 33°C !!! Zusätzlich bekam ich eine Art Warmluftgebläse unter einer Decke. Nach meinem Gefühl alles höchst professionell und die Zuversicht auf ein glückliches Ende machte sich in mir breit. Obwohl ich in Mecklenburg-Vorpommern gekentert bin befand ich mich in einem Rettungswagen der mich in die Uniklinik nach Lübeck gefahren hat. In der Notaufnahme habe ich dann 4 Stunden verkabelt unter Monitorüberwachung verbracht und es erfolgten diverse Blutuntersuchungen. Meine Körpertemperatur lag wieder bei über 36°C und die Blutwerte waren zufriedenstellend. In Begleitung meiner Frau und meiner Tochter durfte ich die Klinik wieder verlassen.
Es wurden viele Tränen im Krankenhaus vergossen und es war klar das der 5. Dezember ab sofort mein zweiter Geburtstag ist. Wobei mir ein Geburtstag völlig reicht.
Den Rücktransport meines Autos haben meine Kinder organisiert und das Kajak wurde von der Wasserschutzpolizei Wismar sichergestellt und in die dortige Asservatenkammer verbracht. Dort liegt es heute noch.
Die komplette nasse Kleidung habe ich am Folgetag in einer großen IKEA-Tasche aus dem Fahrzeug geholt. Die Griffe der Tasche waren kurz vorm reißen und ich schätze das Gewicht auf deutlich über 10 kg.
Dieser Kenterbericht mag in Teilen sehr dramatisch sein, aber ich musste mir die Geschehnisse von der Seele schreiben. Meine lebensbedrohliche Grenzerfahrung soll von euch niemanden abschrecken, sondern vielmehr sensibilisieren. Unser Hobby ist mit allen gebotenen Sicherheitsvorkehrungen problemlos durchführbar. Alle Fehler die mir passiert sind habe ich selbst zu verantworten und vielleicht hat da jemand auch noch Verbesserungspotential für sich erkannt. Dann ist viel erreicht.
Hier nochmal alle haarsträubenden Fehler im Überblick:
- sitzende Position im Kajak verlassen
- Trockenjacke am Hals nicht abgedichtet
- ohne Begleitung auf der Ostsee unterwegs
- keine Einstiegsübung auf dem aktuellen Kajak
- kein wasserdichtes Tasten-Handy für die Abgabe eines Notrufes
Körperlich geht es mir wieder gut, aber im Kopf läuft das Geschehene immer wieder ab und wird mich wohl noch viele schlaflose Nächte kosten.
Die materiellen Verluste bei der Kenterung sind es nicht wert hier thematisiert zu werden, ich bin einfach nur froh diese Nachbetrachtung schreiben zu können. Die Frage ob und wie es weitergeht lasse ich erst einmal offen, wichtiger ist für mich die Verarbeitung der Geschehnisse und dieser Kenterbericht soll der erste Schritt dazu sein.
Bitte im Netz nachlesen:
Stadien, Symptome und Sofortmaßnahmen bei Hypothermie (Unterkühlung)