Kenterung light
Verfasst: 31. Okt 2020, 23:46
Moin,
ich möchte euch teilhaben lassen an meiner Kentergeschichte.
Wenn es dazu führt, dass außer mir auch nur einer von euch seinen Sicherheits-Schwellwert überdenkt oder sein Equipment besser sichert, dann oute ich mich hier gerne als Deppen.
Wir hatten mit Freunden ein großes Ferienhaus an der Nordküste der dänischen Insel Seeland gemietet, also am Kattegatt. Es gab auflandigen Wind, davon auch nicht zu knapp.
Aber nach mehreren Monaten Abstinenz war ich heiß auf Angeln - heute musste es sein. Wen es interessiert: die Ausleger habe ich aus Alu-Rohren, 2 Fendern und großkalibrigem Abflussrohr gebastelt. Theoretisch unkippbar (hahaha).
Beim Losfahren waren zwar schon ordentlich Wellen vorhanden, aber meiner Einschätzung nach noch längst nicht im bedrohlichen Bereich.
Ich kam sehr gut durch die Brandung, bin auch nur ca. 200m weit raus gefahren - Plattfische waren das Ziel, und nebenbei wollte ich noch ein bisschen auf Dorsch pilken.
Aber nach kurzer Zeit frischte der Wind noch weiter auf, die Wellen wurden höher, der Fangerfolg war nach ca. 1h immer noch bei Null, und durch den Seegang wurde mir schlecht - ich war kurz davor, die Fische zu füttern.
Kurzer Check: besser wird's nicht, weder Wetter, noch Beute, noch mein persönliches Befinden. Also einpacken, Anker lichten und ab zum Ufer.
Dort hatte sich aber die Brandung inzwischen so sehr verstärkt, dass mir bereits beim Lospaddeln Bedenken kamen.
Im Anfang des Brandungsbereiches, ca. 20m vom Ufer entfernt hatte mich dann ein Brecher schon mal ordentlich gedreht, so dass ich parallel zu den Wellen stand und fast gekentert wäre. Das Kajak vor der nächsten Welle wieder auf Kurs zu bringen hat mich viel Kraft gekostet.
Da merkte ich schon: so wird das nichts. Also habe ich in der nächsten kurzen Wellenpause gewendet und bin nochmal aus dem Brandungsbereich heraus bis auf 50 Meter vom Ufer weg gepaddelt - mit Anlauf sollte es klappen.
Nach sehr kurzer Sprintdauer habe ich diese Idee verworfen.
Also: aussteigen. Der Wind trieb mich ja rechtwinklig auf das Ufer zu, und mit mir als Treibanker würde das Boot immer schön rechtwinklig zu den Wellen stehen - das schien mir der am meisten Erfolg versprechende Ansatz zu sein.
Ich muss gestehen, dass ich nach dem Aussteigen keine Angst mehr um mich hatte. Nun nicht mehr auf dem Boot zu sitzen und vielleicht beim Kentern vom umherfliegenden Paddel, den Auslegern, einer Angel oder gar dem Boot am Kopf getroffen zu werden fand ich sehr viel gemütlicher.
Am Ufer standen inzwischen ein paar Schaulustige - wenn die nun auf die Idee kommen, mich retten zu wollen? Glücklicherweise hat es keiner versucht.
Nachdem ich meine eigene Sicherungsleine gelöst hatte, hat auch die Treibankermethode prima funktioniert, bis - naja, bis zu dem Augenblick, als mein Plan mit der Wirklichkeit konfrontiert wurde. Einer der Monsterbrecher hat mein Boot dann doch ganz sauber 180° um die Längsachse gedreht. Das war's dann.
Ich selbst war ja nicht betroffen: durch mehrere Lagen Thermo-Funktionsunterwäsche isoliert, in Trockenanzug und Rettungsweste eingepackt, ging es mir trotz 10° Wassertemperatur prima.
Aber dann kamen die Gedanken: Die Angeln steckten eben noch in den Halterungen. Und dann waren da noch die nicht wieder eingepackten Pilker und ein paar sonstige nicht angebundene Kleinteile. Gut, von den Kleinteilen hatte ich mich gedanklich sofort verabschiedet, aber die Angeln wollte ich retten, denn wenn das Boot kopfüber zum Strand treibt und dabei von den Wellen immer wieder hoch gehoben und runter geworfen wird, brechen die Angeln ab.
Inzwischen hatte ich aber im Wellental mit den Füßen manchmal schon Grundkontakt. Tschüß Angelruten. Wenigstens konnte ich das Boot trotz der Ausleger schon beim 2. Versuch wieder zurück drehen.
Inventur: aha, beide Angeln sind verschwunden. Am Boot angebunden waren sie natürlich nicht - die Sicherungsleinen der Angeln hatten mich schon beim allerersten Angelausflug derart gestört, dass ich sie seitdem immer weggelassen hatte. Kalkuliertes Risiko: Komfort vor materieller Sicherheit.
Ich hatte nun bereits permanent Grundkontakt und konnte jetzt das Boot an Land ziehen, dabei hatte ich mich mit den Füßen noch in einer Angel verheddert - hurra. Die war leider schon in mehrere Stücke zerbrochen, aber die Rolle war noch dran.
Puah - überstanden. Irgendwie war ich euphorisch.
Inventur: Lebendig, unverletzt, EUR 80,- versenkt: 2 Angelruten, 1 Rolle, Kleinkram - ja, mein Equipment kommt aus dem unteren Preissegment.
Dann fiel mir ein, dass zum Bestand der oben erwähnten nicht angebundenen Kleinteile auch mein Handy gehörte.
Inventur: Lebendig, unverletzt, 500,- versenkt, digital kastriert, Euphorieverlust.
Nachdem ich meine Ankerleine aus den Algen befreit, meinen restlichen Kram zusammengepackt hatte und zwischendurch auch mehrmals erfolglos wieder in die Brandung gelaufen war, um vielleicht die zweite Angel noch zu finden, blieb nichts weiter zu tun als das Kajak an mein Fahrrad anzuhängen und den Heimweg anzutreten. Wir sind später am Nachmittag dann nochmal mit allen sonstigen verfügbaren Handys zum Strand gegangen und haben versucht, per Bluetooth ein Signal zu finden - nix.
Am nächsten Tag sind wir in den nächsten größeren Ort gefahren, und nach Schilderung meines Ausflugs"erfolges" gab mir der Händler 25% Nachlass auf die neue Angelrute.
Am übernächsten Tag (ablandiger Wind hinter der Steilküste = Ententeich) habe ich beim Strandspaziergang dann im Wasser die zweite Angel zwischen großen Steinen eingeklemmt liegen sehen. Also: nackig machen und rein, Angel raus.
Die Rolle war noch dran, der Spitzenring war abgerissen, sonst sah sie gesund/reparabel aus. Bei genauerer Betrachtung habe ich aber an einer Stelle direkt hinter der Rolle eine sehr stark abgeriebene Stelle entdeckt - da war in den 2 Tagen wohl durch die ständige Bewegung viel Material abgerieben worden. Somit war sie nicht mehr stabil - schade, Müll.
Aber an der Angel hatte sich mein Handy (wasserdichte Hülle + langes Trageband) verfangen. Aufladen, einschalten - läuft.
Fazit / Wieder was gelernt:
* Das Handy nicht anzubinden war ja wohl die blödeste Nicht-Aktion des Jahres.
* Meine Ration Glück ist für dieses Jahr verbraucht.
* Der Trocki hält, was er verspricht.
* Ich habe die Stärke der Brandung völlig unterschätzt. Wieder mal hat sich gezeigt: Wenn man noch überlegen muss: 'Kann ich bei dem Wetter noch raus fahren oder wird das zu gefährlich?', dann ist es bereits zu gefährlich.
* Die Ausleger machen das Boot stabiler, aber nicht unkippbar.
ich möchte euch teilhaben lassen an meiner Kentergeschichte.
Wenn es dazu führt, dass außer mir auch nur einer von euch seinen Sicherheits-Schwellwert überdenkt oder sein Equipment besser sichert, dann oute ich mich hier gerne als Deppen.
Wir hatten mit Freunden ein großes Ferienhaus an der Nordküste der dänischen Insel Seeland gemietet, also am Kattegatt. Es gab auflandigen Wind, davon auch nicht zu knapp.
Aber nach mehreren Monaten Abstinenz war ich heiß auf Angeln - heute musste es sein. Wen es interessiert: die Ausleger habe ich aus Alu-Rohren, 2 Fendern und großkalibrigem Abflussrohr gebastelt. Theoretisch unkippbar (hahaha).
Beim Losfahren waren zwar schon ordentlich Wellen vorhanden, aber meiner Einschätzung nach noch längst nicht im bedrohlichen Bereich.
Ich kam sehr gut durch die Brandung, bin auch nur ca. 200m weit raus gefahren - Plattfische waren das Ziel, und nebenbei wollte ich noch ein bisschen auf Dorsch pilken.
Aber nach kurzer Zeit frischte der Wind noch weiter auf, die Wellen wurden höher, der Fangerfolg war nach ca. 1h immer noch bei Null, und durch den Seegang wurde mir schlecht - ich war kurz davor, die Fische zu füttern.
Kurzer Check: besser wird's nicht, weder Wetter, noch Beute, noch mein persönliches Befinden. Also einpacken, Anker lichten und ab zum Ufer.
Dort hatte sich aber die Brandung inzwischen so sehr verstärkt, dass mir bereits beim Lospaddeln Bedenken kamen.
Im Anfang des Brandungsbereiches, ca. 20m vom Ufer entfernt hatte mich dann ein Brecher schon mal ordentlich gedreht, so dass ich parallel zu den Wellen stand und fast gekentert wäre. Das Kajak vor der nächsten Welle wieder auf Kurs zu bringen hat mich viel Kraft gekostet.
Da merkte ich schon: so wird das nichts. Also habe ich in der nächsten kurzen Wellenpause gewendet und bin nochmal aus dem Brandungsbereich heraus bis auf 50 Meter vom Ufer weg gepaddelt - mit Anlauf sollte es klappen.
Nach sehr kurzer Sprintdauer habe ich diese Idee verworfen.
Also: aussteigen. Der Wind trieb mich ja rechtwinklig auf das Ufer zu, und mit mir als Treibanker würde das Boot immer schön rechtwinklig zu den Wellen stehen - das schien mir der am meisten Erfolg versprechende Ansatz zu sein.
Ich muss gestehen, dass ich nach dem Aussteigen keine Angst mehr um mich hatte. Nun nicht mehr auf dem Boot zu sitzen und vielleicht beim Kentern vom umherfliegenden Paddel, den Auslegern, einer Angel oder gar dem Boot am Kopf getroffen zu werden fand ich sehr viel gemütlicher.
Am Ufer standen inzwischen ein paar Schaulustige - wenn die nun auf die Idee kommen, mich retten zu wollen? Glücklicherweise hat es keiner versucht.
Nachdem ich meine eigene Sicherungsleine gelöst hatte, hat auch die Treibankermethode prima funktioniert, bis - naja, bis zu dem Augenblick, als mein Plan mit der Wirklichkeit konfrontiert wurde. Einer der Monsterbrecher hat mein Boot dann doch ganz sauber 180° um die Längsachse gedreht. Das war's dann.
Ich selbst war ja nicht betroffen: durch mehrere Lagen Thermo-Funktionsunterwäsche isoliert, in Trockenanzug und Rettungsweste eingepackt, ging es mir trotz 10° Wassertemperatur prima.
Aber dann kamen die Gedanken: Die Angeln steckten eben noch in den Halterungen. Und dann waren da noch die nicht wieder eingepackten Pilker und ein paar sonstige nicht angebundene Kleinteile. Gut, von den Kleinteilen hatte ich mich gedanklich sofort verabschiedet, aber die Angeln wollte ich retten, denn wenn das Boot kopfüber zum Strand treibt und dabei von den Wellen immer wieder hoch gehoben und runter geworfen wird, brechen die Angeln ab.
Inzwischen hatte ich aber im Wellental mit den Füßen manchmal schon Grundkontakt. Tschüß Angelruten. Wenigstens konnte ich das Boot trotz der Ausleger schon beim 2. Versuch wieder zurück drehen.
Inventur: aha, beide Angeln sind verschwunden. Am Boot angebunden waren sie natürlich nicht - die Sicherungsleinen der Angeln hatten mich schon beim allerersten Angelausflug derart gestört, dass ich sie seitdem immer weggelassen hatte. Kalkuliertes Risiko: Komfort vor materieller Sicherheit.
Ich hatte nun bereits permanent Grundkontakt und konnte jetzt das Boot an Land ziehen, dabei hatte ich mich mit den Füßen noch in einer Angel verheddert - hurra. Die war leider schon in mehrere Stücke zerbrochen, aber die Rolle war noch dran.
Puah - überstanden. Irgendwie war ich euphorisch.
Inventur: Lebendig, unverletzt, EUR 80,- versenkt: 2 Angelruten, 1 Rolle, Kleinkram - ja, mein Equipment kommt aus dem unteren Preissegment.
Dann fiel mir ein, dass zum Bestand der oben erwähnten nicht angebundenen Kleinteile auch mein Handy gehörte.
Inventur: Lebendig, unverletzt, 500,- versenkt, digital kastriert, Euphorieverlust.
Nachdem ich meine Ankerleine aus den Algen befreit, meinen restlichen Kram zusammengepackt hatte und zwischendurch auch mehrmals erfolglos wieder in die Brandung gelaufen war, um vielleicht die zweite Angel noch zu finden, blieb nichts weiter zu tun als das Kajak an mein Fahrrad anzuhängen und den Heimweg anzutreten. Wir sind später am Nachmittag dann nochmal mit allen sonstigen verfügbaren Handys zum Strand gegangen und haben versucht, per Bluetooth ein Signal zu finden - nix.
Am nächsten Tag sind wir in den nächsten größeren Ort gefahren, und nach Schilderung meines Ausflugs"erfolges" gab mir der Händler 25% Nachlass auf die neue Angelrute.
Am übernächsten Tag (ablandiger Wind hinter der Steilküste = Ententeich) habe ich beim Strandspaziergang dann im Wasser die zweite Angel zwischen großen Steinen eingeklemmt liegen sehen. Also: nackig machen und rein, Angel raus.
Die Rolle war noch dran, der Spitzenring war abgerissen, sonst sah sie gesund/reparabel aus. Bei genauerer Betrachtung habe ich aber an einer Stelle direkt hinter der Rolle eine sehr stark abgeriebene Stelle entdeckt - da war in den 2 Tagen wohl durch die ständige Bewegung viel Material abgerieben worden. Somit war sie nicht mehr stabil - schade, Müll.
Aber an der Angel hatte sich mein Handy (wasserdichte Hülle + langes Trageband) verfangen. Aufladen, einschalten - läuft.
Fazit / Wieder was gelernt:
* Das Handy nicht anzubinden war ja wohl die blödeste Nicht-Aktion des Jahres.
* Meine Ration Glück ist für dieses Jahr verbraucht.
* Der Trocki hält, was er verspricht.
* Ich habe die Stärke der Brandung völlig unterschätzt. Wieder mal hat sich gezeigt: Wenn man noch überlegen muss: 'Kann ich bei dem Wetter noch raus fahren oder wird das zu gefährlich?', dann ist es bereits zu gefährlich.
* Die Ausleger machen das Boot stabiler, aber nicht unkippbar.